Abschiednehmen von Pastor Nkanyiso Kingdom Maphumulo … seine Reise geht weiter + Interview von Jocelyn Sommerfeld, Kirchenvorstandsvorsitzende
Last updated on Juni 16th, 2025
Ein Interview mit Pastor Nkanyiso Kingdom Maphumulo
von Jocelyn Sommerfeld, Kirchenvorstandsvorsitzende
Nach einem Online-Interview und einem persönlichen Empfang durch den Kirchenvorstand trat Pastor Nkanyiso im August 2024 dem Gemeindeteam der Martin-Luther-Kirche bei. In den folgenden zehn Monaten haben viele seine tiefe Intelligenz durch seine bemerkenswerten Predigten —in denen er leidenschaftlich über komplexe Gedanken aus dem Gedächtnis spricht— erfahren. Im Laufe seiner Zeit bei uns, promovierte Pastor Nkanyiso am Trinity College der renommierten Universität Toronto – während seine junge Familie in Südafrika zurückblieb und er sich mit dem Leben in einer teuren und manchmal kulturell verwirrenden Stadt auseinandersetzte.
Ich traf mich mit Pastor Nkanyiso, um mehr über ihn und seine Lebenserfahrungen zu hören und seine Geschichten mit der Gemeinde zu teilen.
Nkanyiso wurde 1979 im Inanda Township (nahe Durban), in der Provinz KwaZulu-Natal, Südafrika, geboren und wuchs bei seinen Grosseltern und deren Grossfamilie in einem Zelt auf. Ihre Lebensbedingungen waren eine direkte Folge des Group Areas Act, ein während der Apartheid verabschiedetes Gesetz, dass der südafrikanischen Regierung ermöglichte, Menschen zu enteignen und ganze Ortschaften umzusiedeln.
Da seine Eltern noch zur Schule gingen und sich nicht um ihn kümmern konnten, wuchs Nkanyiso weitgehend bei seiner Oma auf, die für eine wohlhabende weisse Familie in einem feinen Haus in Umdloti Beach —am Meer— arbeitete, wohin sie den kleinen Nkanyiso oft mitnahm. Die Erfahrung, als kleiner Junge in zwei Welten zu leben, prägte seine Gedanken über Gott:
„Die erste Welt war ein von Armut geplagtes Flüchtlingslager, und sie war schwarz. Die andere Welt war wohlhabend, mit schönen Häusern und einem glücklichen Leben, und diese Welt war weiss. Und ich erinnere mich, wie ich mich als Kind fragte: ‚Wer hat diese Situation geschaffen?‘ Ist es Gott oder ist es der Mensch? … Denn wenn man sagen würde, Gott hat das geschaffen, was für ein Gott wäre das denn? Wenn man sagt, die Menschen waren das, bleibt die Frage: Wie konnte Gott zulassen, dass der Mensch sowas schafft? … So oder so, wäre Gott in Schwierigkeiten.“
Er beschrieb auch andere Erfahrungen in seinem Leben, wo er die Schrecken menschlichen Leidens hinterfragte. So erinnerte er sich beispielsweise an ein besonders eindringliches Bild des Soweto-Aufstands von 1976 während des Apartheid-Regimes. Ein südafrikanischer Kultusminister verkündete, dass in Südafrika der gesamte Unterricht plötzlich auf Afrikaans stattfinden würde – die Sprache, die fast nur von der herrschenden weissen Minderheit beherrscht wurde. Schwarze Schüler gingen aus Protest auf die Strasse, und viele von ihnen wurden dabei getötet.
„…ein berühmtes Bild —das immer wieder als Symbol dieser Zeit verwendet wird– zeigt einen Studenten der den Leichnam eines anderen Jungen trägt, daneben ein junges Mädchen, beide rennen, während Feuer um sie herum lodert. Ich bin mit diesem Bild aufgewachsen, ich kann mich daran erinnern, es oft gesehen zu haben.“
Das Nachdenken über Gott und Fragen nach dem Leid führten Nkanyiso auch zu Glaubensfragen, insbesondere zu der Frage, wie Schwarze Gemeinschaften in schweren Zeiten ihren Glauben bewahren können: „Während der Apartheid, mit all den Verbrechen gegen die Menschlichkeit, waren die Kirchen in den Schwarzen Gemeinschaften überfüllt … woher kommt diese Hoffnung inmitten von soviel Leid?“
Die Frage, was Menschen weitermachen lässt, ist wichtig. Für Nkanyiso ist diese Frage besonders von seiner Zwei-Welten-Sichtweise geprägt. Was er während seiner Kindheit in Südafrika sah, überraschte ihn – dass Menschen, die unter erbärmlichsten Bedingungen fast wie in einem Flüchtlingslager lebten und so gut wie keine Besitztümer hatten, dennoch mit einem höheren Glücksgefühl lebten. Wohlhabende Menschen hingegen, die in luxuriösem Komfort lebten, hatten oft „eine Traurigkeit im Gesicht und Ängstlichkeit in den Augen“. Er vermutete, dass diese Unterschiede im Glücksgefühl durch die jeweiligen Erlebnisse in ihren Gemeinschaften entstehen:
„Ich bin in einer Gemeinschaft aufgewachsen, in der man durch Herausforderungen Kraft schöpft – man weint zusammen, man lacht zusammen, man teilt Geschichten und findet Heilung. [Deshalb] findet man, in Zeiten von Leid und Schmerz, Kraft im Zusammenhalt. … Man hat vielleicht keine Lösung parat, man hat vielleicht keine Antwort, man weiss vielleicht nicht, wie man ein Problem lösen kann, aber zumindest ist man zusammen.“
Er führte weiter aus, dass Zusammengehörigkeit nicht immer physisch ist, sondern einfach durch das Gefühl nicht allein auf dieser Welt zu sein, vermittelt werden kann. Eine gängige Begrüssung in Südafrika ist „Ich sehe dich“, und er beschrieb, wie dieser Gruss ein Gefühl der Zusammengehörigkeit hervorrufen kann, selbst wenn man räumlich getrennt ist. Er zitierte ein besonders anschauliches Beispiel aus seiner Kindheit:
Früher hatten wir kein Haus mit integriertem Wohnzimmer und Esszimmer, sondern jedes Zimmer war ein Bau für sich [fast wie eine Reihe von Gartenlauben]. Wenn also nachts die Oma ihr Enkelkind mit den Worten „Geh und hol mir was aus meinem Zimmer“ wegschickte, musste das Kind also alleine im Dunkeln zum anderen Gebäude gehen. Und das Enkelkind sagte: „Oma, ich habe Angst im Dunkeln.“ Die Oma steht an der Tür und sagt: „Geh schon, ich sehe dich.“ Und das Kind geht voller Zuversicht im Dunkeln, weil es glaubt die Oma sieht es. … Auch wenn die Oma tatsächlich im Dunkeln nichts sehen kann! Aber das Kind glaubt: „Mir passiert nichts, weil Oma mich sieht.“ Das Wissen, gesehen zu werden, gibt uns die Kraft im Schatten der Dunkelheit gehen zu können.“
Nkanyiso stammt aus einer streng-anglikanischen südafrikanischen Familie. Seine Familie, bis zurück zu seinem Urgrossvater, ist anglikanisch, sodass er immer in einem gläubigen Umfeld aufgewachsen ist. An der Universität verfolgte er jedoch ursprünglich ein anderes Interesse: „Psychologie faszinierte mich– ich liebe Menschen, ich liebe es, Dinge zu analysieren, ich bin von menschlichem Verhalten fasziniert… also habe ich das verfolgt.“ Doch während seines Studiums verspürte er eine starke Berufung zum ordinierten Amt. Er sprach mit einem Pfarrer („einem alten Mann!“), den er über einen Freund kennengelernt hatte. Das Gespräch verlief jedoch anders als erwartet:
„Er sagte zu mir: ‚Man sagte mir dass Sie sich zum Priesteramt berufen fühlen?‘ Ich sagte: ‚Ja, ich habe das Gefühl, Gott ruft mich dazu.‘ Und er sagte daraufhin: ‚Ich gebe Ihnen einen Rat: Ignorieren Sie es! Ignorieren Sie es, bis Sie einen Punkt erreichen, an dem Sie es nicht mehr ignorieren können.‘“
Obwohl Nkanyiso zunächst schockiert war, hielt er die Worte des Mannes für ein Geschenk des Himmels, da sie ihm halfen, sein Studium abzuschliessen. Erst dann konnte er seine Berufung nicht länger leugnen und wechselte in den ordinierten Dienst.
Dieser Wechsel fiel seiner Familie am Anfang nicht leicht. Da man als ordinierter Pfarrer leider nicht so viel Geld wie in anderen Berufen verdient, tat sich seine Familie zunächst schwer mit seiner Entscheidung, da er seinen persönlichen Erfolg nicht unmittelbar für die finanzielle Verbesserung seiner Familie nutzen konnte. Als erster der es auf die Universität schaffte, verspürte Nkanyiso einen starken Druck, andere Familienmitglieder zu unterstützen:
„…die Idee war, dass ich —sobald mein Studium abgeschlossen war und ich arbeitete— jemand anderen in der Familie unterstützen sollte, die Schule oder Universität besuchen zu können. Und dann soll diese Person die nächste Person unterstützen. Weil das alles Geld kostet, nennt man das die ‚Schwarzen Steuer‘.“
Er erinnert sich jedoch an einen Wendepunkt in einer Familiendiskussion, als jemand sagte: „…aber wir wussten es immer schon. Wir können uns streiten… aber wenn wir ehrlich sind, wissen wir alle, dass er zum ordinierten Dienst berufen werden würde.“ „Ich glaube“, sagte Nkanyiso, „das war das Ende der Diskussion!“
Mit der Unterstützung seiner Familie wurde er an ein anglikanisches Priesterseminar in Grahamstown, Makhanda, geschickt. Dort nahm er an einem Austauschprogramm mit der Universität Toronto teil und studierte schliesslich drei Monate am St. Hilda’s College auf dem Campus in der Innenstadt. Er beschrieb seinen prägenden Aufenthalt in der Stadt folgendermassen:
„Ich kam tatsächlich am Silvesterabend im Dezember 2009 hier an, und am nächsten Tag schrieben wir das Jahr 2010. Und ich glaube, Kanada richtete die Olympischen Winterspiele aus, daher herrschte in der Stadt eine große Aufregung – besonders erinnere ich mich an ein Eishockeyspiel, bei dem Kanada in einem knappen Spiel gegen die USA Gold gewann. … Die Atmosphäre [in der Stadt] war fantastisch, und ich sagte mir: ‚Wenn ich promovieren will, komme ich zurück und mache es hier.‘“
Tatsächlich gefiel es ihm so gut in der Stadt, dass er —nach seiner Rückkehr, seiner Heirat, der Geburt dreier wunderschöner Töchter und dem Abschluss seines Magisterstudiums— für sein Doktorstudium nach Toronto zurückkehrte.
Wie er in seiner ersten Predigt in der Martin-Luther-Kirche erwähnte, ist der Kernaspekt seines religiösen Verständnisses – und das Thema seiner Promovierung – sein Streben, Gottes Rolle im menschlichen Leid zu verstehen und wie Menschen nach schweren Zeiten ihren Glauben bewahren können. Auch wenn seine Studien weiterhin mehr Fragen als Antworten aufwerfen, hat ihn die Reflexion auf seine Lebenserfahrungen zu einem tiefgreifenden Bewusstsein für unsere gemeinsame Menschlichkeit geführt:
„In den 45 Jahren meines Lebens habe ich erkannt, dass … wir tatsächlich alle gemeinsam im selben Boot sitzen. … Egal, wo man auf der Welt ist – es mag anders aussehen, aber die Herausforderungen sind dieselben.“
Nkanysio erzählte mir auch noch ein paar andere Geschichten – darunter seine Gedanken darüber, warum sich Kanadier ständig entschuldigen (Vielleicht wissen sie oft einfach nicht, wie sie reagieren sollen?), warum sie in der Kirche Gutes tun wollen, aber mit „notwendigen Übeln“ zu kämpfen haben und wie oft sie von der Anwesenheit unserer Martin-Luther-Statue überrascht werden („Ich vergesse immer, dass er da ist, und er ist immer da.“) Wenn Sie eigene Anekdoten über Pastor Nkanyiso teilen möchten, würden wir sie gerne hören!
Wir wünschen Pastor Nkanyiso alles Gute und freuen uns darauf, über sein weiteres Studium zu hören. Wir hoffen, ihn eines Tages wieder in Kanada begrüssen zu dürfen – hoffentlich mit seiner Familie – damit er Fortsetzungen seiner einsichtsvollen Geschichten persönlich mit uns teilen kann.
– Jocelyn Sommerfeld, MLK-Vorstandsvorsitzende, 13. Juni 2025
6. Juni 2025 – Pastor Nkanyiso Kingdom Maphumulo, der im August 2024 für ein Jahr als ein Stellvertreter für unsere Pastorin Annika (während ihres Mutterschaftsurlaubs) zur Martin-Luther-Kirche kam, wird uns Mitte Juni 2025 verlassen.
In der Regel, predigte er einmal im Monat, leitete den Konfirmationsunterricht, nahm an Kirchenvorstandssitzungen teil, pflegte einen Austausch mit unsern bedürftigen Nachbarn während der „Bowls & Blessings” (Suppe und Segen -Lebensmittelseelsorge) und war gelegentlich Gastredner bei Dinner-Church (bei einer ganz besonders denkwürdigen Gelegenheit spielte er sogar Gitarre)! Er ist dankbar für seine Zeit in der MLK und sagt, die Art und Weise, wie er aufgenommen wurde, habe ihm das Gefühl gegeben, „ein Teil der Kirchenfamilie“ zu sein. Er war angenehm überrascht, wie viele Personen in der MLK am Gemeindeleben beteiligt sind – nicht nur Kirchenmitarbeiter oder Gottesdienst-Team-Mitglieder.
Unsere Gemeinde schätzte seine charismatischen und einprägsamen Predigten —in denen er persönliche Geschichten einfing und wirklich aus dem Herzen sprach— sehr. Seine freundliche, fürsorgliche und einfühlsame Ausstrahlung fiel allen auf, und er erntete viel Lob für seine Fähigkeit, uns zu beruhigen und zu entspannen. Er antwortete: „Wir sind berufen, die Welt zu verändern – und wenn man die Welt eines Menschen verändern kann, dann ist das was.“
Nkanyiso hat eine angeborene Liebe zum Lernen, wie seine Bildungsgeschichte zeigt. Er schloss zunächst ein Juniorstudium in Psychologie ab und wechselte dann an ein anglikanisches Priesterseminar in Grahamstown (Südafrika). Während seines Studiums nahm er drei Monate lang an einem Austauschprogramm mit der Universität Toronto teil. Zurück in Südafrika erwarb er anschliessend ein Diplom in Theologie und wurde 2010 zum Diakon und 2011 zum Pfarrer geweiht. Ab 2011 erwarb er neben seiner Tätigkeit als Gemeindepfarrer in drei verschiedenen Gemeinden der Diözese Zululand sowohl einen Bachelor-Titel in Theologie (mit Auszeichnung) als auch einen Magister der Theologie. 2021 kehrte er nach Kanada zurück, um am Trinity College der Universität-Toronto zu promovieren.
Nun wird dieser Lebensabschnitt unterbrochen. Wie er in unserem letzten Rundschreiben erwähnte, „führten Einwanderungskomplikationen und persönliche Veränderungen zu der Entscheidung, von Kanada vorerst Abschied zu nehmen…“ Am 13. Juni 2025 wird er nach Südafrika zurückkehren, wo seine Frau Phindile und seine drei Töchter Kuya, Mesuli und Nonka ihn sehnsüchtig erwarten. Er beabsichtigt per Fernstudium seine Promotionsarbeit fortzusetzen um dann wieder —hoffentlich mit einem Arbeitsvisum— nach Toronto zurückzukehren und später mit seiner Familie nach Kanada langfristig zu ziehen. Er sagt: „Es braucht Zeit und Kosten, aber wir vertrauen Gott und seinem Willen für uns.“ Wir wünschen Pastor Nkanyiso alles Gute für seinen weiteren Lebensweg!
Wir verabschieden uns von ihm am Pfingstsonntag, 8. Juni 2025, mit einem zweisprachigen deutsch-englischen Pfingstgottesdienst mit Konfirmation. Bitte kommen Sie auch zum anschliessenden Abschiedsempfang und bringen Sie ein typisch deutsches oder kanadisches Potluck-Gericht zum Teilen mit. Falls eine Teilnahme für Sie nicht möglich ist, können Sie gerne eine persönliche Abschiedsnachricht für ihn an office@martinluther.ca senden.
Fotogalerie, zu verschiedenen Anlässen 2024 -2025: